WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Kultur
  3. Geschichte
  4. Perpetuum mobile: Endlose Energie ist machbar. Zum Beispiel in Kassel

Geschichte Perpetuum mobile

Endlose Energie ist machbar. Zum Beispiel in Kassel

Scharlatane versuchten sich daran, Wissenschaftler und große Geister: Das Perpetuum mobile ist seit der Antike einer der Menschheitsträume.

Kassel-Wilhelmshöhe kennen wir als ICE-Bahnhof, meist als flüchtigen Zwischenstopp. Drei Minuten nach dem Halten beschleunigt der Hochgeschwindigkeitszug wieder, weiter geht die Jagd durch die Tunnel unter der hessischen Berglandschaft. Mit 13.000 PS, einer Energie, die aus dem Stromnetz der Bahn kommt. Elektrischer Strom aber, vor allem beim Verbrauch solcher Mengen, gerät zunehmend in Verruf, weil er meist aus Kohle oder aus Kernkraft herrührt. Sehnsucht erfüllt die Menschen nach erneuerbarer Energie. „Erneuerbar“ ist das Wort der Zeit.

Wer sich einmal zwei Stunden gönnt und in Kassel aussteigt, die Wilhelmshöher Allee zwei Kilometer stadtauswärts geht in Richtung Herkules-Statue, kurz vor ihr rechts abbiegt zum Schloss Wilhelmshöhe, der steht an jenem historischen Ort, an dem vor knapp 300 Jahren ein Tüftler das Ideal aller erneuerbaren Energien fand. Nein, nicht bloß erneuerbar, weit mehr noch: sich selbst erneuernd. Er baute das Perpetuum mobile. Das Gerät, das – einmal in Gang – ewig in Bewegung bleibt, ohne jede Energiezufuhr, ohne Schub, ohne jede Hilfe von außen.

Der Mäzen blieb frei von Zweifeln

Seit der Antike träumte man davon , bastelte daran; Leonardo da Vinci hatte es – nach eigenen Versuchen – längst als Mythos, als nicht realisierbar, bezeichnet. Doch hier, bei Kassel, hat es Johann Ernst Elias Bessler, Mediziner, Uhrmacher und Erfinder, im Jahre 1717 aufgebaut, und es funktionierte. Oder doch nicht? Immerhin: Seinen Gönner, den innovationsfreudigen Landgrafen Karl von Hessen-Kassel, konnte er – neben vielen anderen – mit seiner wuchtigen Apparatur überzeugen, der Landgraf blieb frei von Zweifeln, bis er 1730 starb.

Das Schloss Wilhelmshöhe stand hier noch nicht in jenem Jahr, sondern die Burg Weißenstein, ein säkularisiertes Kloster, die Sommerresidenz des Grafen. Es lässt sich also nicht mehr genau lokalisieren, wo genau Johann Bessler seinen Apparat errichtete, bei dem es sich vor allem um ein großes Rad handelte, neben kleineren Hebeln, Treibriemen und archimedischen Schrauben. Der Graf hatte ihm dafür in seiner Burg einen Raum zur Verfügung gestellt.

Besslers Erfindung, das Perpetuum mobile, war nicht ganz neu. Graf Karl war aufmerksam geworden durch ein Zertifikat, das das Fürstenhaus Reuß-Gera Bessler im Jahr 1712 ausgestellt hatte über „das so lange gesuchte und gewünschte Perpetuum Mobile“, das „durch Göttliche Gnade alhier zu Gera neulichst erfunden und verfertigt worden, eine künstliche und höchst nützliche Machine, welche ohne äußerliche Gewichte, Wind, Wasser und Federwerck durch einen gantz sonderbaren innerlichen Motum Perpetuum ihr eignes Corpo selbst in continuirlichem Lauff nicht nur alleine erhält, beweget und umtreibet, sondern über dieses dazu noch andere Machinen, so große force vonnöthen haben als Wasserkünste, Mühlen u.d.g., zu treiben leicht capable ist.“ Der Herzog von Sachsen-Merseburg stattete Bessler mit einem ähnlichen Zertifikat aus.

Nicht, dass die Maschine in Gera oder in Merseburg länger gestanden hätte zur fachkundigen Prüfung. Bessler führte seine Apparatur vor, schmiss sie an – und jeweils wenig später zerstörte er sie wieder selbst, machte abwechselnd Unmut über seine Schöpfung geltend oder unpässliches Gemüt. Oder er versprach, gleich einen noch perfekteren Apparat zu bauen. „Gantz sonderbar“ war die Angelegenheit, weil der Erfinder keine Erklärung abgab darüber, wie das Ganze denn funktionierte.

Der Landgraf rief zum Langzeitversuch

Doch die Provinzfürsten hatten es eilig, wollten selbst etwas erheischen vom Glanze der Erfindung. Und sie fürchteten Plagiate. Es war „Nachricht eingelauffen, wie einige von Erfinders so genanten Freunden durch verschlagene occasion sich gelüsten lassen, die Invention gedachter Machine so zu sagen abzustehlen, und selbige sogar nach zu machen“, heißt es in der Geraer Urkunde.

Landgraf Karl von Hessen-Kassel aber wollte es jetzt wissen, er rief zum Langzeitversuch. Bessler kam und baute sein Rad auf, dieses Mal mit einem Durchmesser von immerhin dreieinhalb Metern. Den Rest der Anlage verbarg der Meister unter Wachsdecken, vor allem das, was er zwischen dem Rad und der Zimmerwand installiert hatte. Und er verbat sich jeden Blick unter die Planen.

Das große Holzrad begann sich zu drehen

Zweifel kamen auf, Wetten wurden abgeschlossen. Vor allem ein Modellbauer aus Dresden war es, Andreas Gärtner, der öffentlich gegen den „Scharlatan“ Bessler zu Felde zog; 1000 Taler setzte er auf dessen Scheitern. Der Tag kam, es war der 12. November 1717. Bessler setzte seine Apparatur in Gang, das große Holzrad begann sich zu drehen – und hörte nicht mehr auf. Nach Stunden verließ die Festgesellschaft den Raum, mit gräflichem Siegel verplombte man die Tür.

Anzeige

Die Meinungen über die Chancen blieben gespalten. Landgraf Karl war vom Gelingen überzeugt. Am 54. Tag, dem 4. Januar 1718, brach er das Siegel, in Begleitung seines Hofmechanikus und anderer hochgestellter Sachverständiger. Und was unschwer schon von außen zu hören war, bestätigte sich: Noch immer rotierte das Rad, in alter Geschwindigkeit, anscheinend ohne jedes zwischenzeitliche Zutun von außen. Andreas Gärtner musste die 1000 Taler zahlen.

Immer wieder kamen jetzt namhafte Gelehrte, inspizierten das Rad. Darunter der berühmte Gottfried Wilhelm Leibniz, der in seinen nunmehr 71 Lebensjahren auch manches Gedankenspiel zum Perpetuum mobile angestellt hatte. Er konnte sich die Funktion nicht erklären, fand aber auch keine regelwidrige Energiezufuhr von außen. Zar Peter der Große bot aus St.?Petersburg eine hohe Summe für den Kauf des Rades, starb aber 1725 vor einem Abschluss.

Auch die Londoner Royal Society , damals die renommierteste Wissenschaftlervereinigung, bot mit, zog aber das Angebot zurück, weil Bessler nicht auf ihre Bedingung eingehen wollte: eine Erläuterung des Antriebsmechanismus durch einen neutralen Sachverständigen, den hoch angesehenen niederländischen Jacob Gravesande.

1727 kündigte Bessler einen Neubau an

Als Gravesande das Rad inspizieren wollte, zerschlug es Bessler in einem Wutanfall, doch der Niederländer blieb wohlwollend, erklärte, dass Bessler psychisch krank sei. Aber mit dem Rad habe alles seine Ordnung. Noch einmal, 1727, kündigte Bessler einen Neubau an, Gravesande erklärte sich zur abermaligen Inspektion bereit.

Inzwischen aber stand eine ganz andere, simple Erklärung im Raum. Bei den Behörden Kassels hatte sich eine frühere Magd des Tüftlers gemeldet und erklärt, das Rad sei ein einziger Betrug, sie selbst habe immer wieder aus dem Nachbarzimmer an Seilzügen kraft ihrer Arme das Rad in Gang halten müssen. Bessler kam noch einmal davon, weil die Richter des Landgrafen meinten, die Magd habe sich in Widersprüche verwickelt.

Die Gesetze der Physik sprechen dagegen

Gärtner jedenfalls bekam seine 1000 Taler nicht zurück. Ob Bessler je noch einmal ein Rad konstruierte, ob der Niederländer noch einmal zur Prüfung anreiste, ist unklar. 1745 starb Bessler und nahm sein Geheimnis mit ins Grab. Seine Skizzen und Zeichnungen, die die Witwe veröffentlichte, brachten keine Klarheit.

Als durchaus klar gilt dagegen heute, dass es ein Perpetuum mobile nach den Gesetzen der Physik, vor allem denen der Thermodynamik, nicht geben kann. Noch im 18. Jahrhundert gab dies die Französische Akademie der Wissenschaften in einem offiziellen Bulletin heraus, zur Eindämmung des Ansturms entsprechender Patentanmeldungen. Jede Bewegung erzeugt Wärme, somit Energieverlust. Und die eigene Kraft kann nicht mehr Kraft erzeugen, um diese Verluste, die sich etwa durch Reibung ergeben, wettzumachen.

Mit Sklaven lohnte es sich nicht

Anzeige

Deshalb könnte sie schon gar nicht noch zusätzlich angeschlossene Maschinen antreiben, wie etwa den Schleifapparat auf der Zeichnung links. Der dort abgebildete Kreislauf, der durch den Wasserfall und das Mühlrad auch die Aufwärtsbewegung desselben Wassers in Gang hält über eine archimedische Schraube – er wäre ein Ding der Unmöglichkeit. Alle Versuche über die Jahrhunderte, die Drehbewegung eines Rades durch ungleich verteilte Gewichte, Hebel oder Flüssigkeiten in Gang zu halten, resultieren irgendwann im Gleichgewicht – also im Stillstand, vermeidbar nur durch jene „äußerlichen Gewichte, Wind, Wasser und Federwerck“.

Schon die Gelehrten der Antike dachten über das Perpetuum mobile nach. Nur mit halber Kraft, weil sie Sklaven hatten, die für sie alle kräftezehrenden Bewegungen vollbrachten. Später, mit Beginn der Neuzeit, am Vorabend des Maschinenzeitalters, kamen die vielen Tausend Skizzen aufs Papier, versuchten die Tüftler physikalische Gesetze zu überwinden, die sie nicht kannten. Zu der Zeit, da die Alchemisten mit dem Stein der Weisen aus Eisen Gold machen wollten: zwei große Konzepte, die beide scheiterten. Scheitern mussten. Oder?

Die erneuerbare Energie kommt

Die Atomphysik schafft heute , was die Alchemisten vorhatten: ein Element in ein anderes zu verwandeln. Und zeigt uns die Atomphysik nicht auch die ewig sich selbst tragende Bewegung, nämlich die des Elektrons um den Atomkern? Das ist noch kein Perpetuum mobile, richtig. Aber vergessen wir nicht, dass der Präsident jener Royal Society im Jahre 1895, acht Jahre bevor die Gebrüder Wright abhoben, auch den Flugapparat offiziell zum Ding der Unmöglichkeit, wider alle physikalischen Gesetze, erklärte.

So schnell, gewiss, wird es nichts mit der Energie, die sich aus sich heraus erneuert; dann, wenn der Mensch vielleicht die ersten physikalischen Gesetze überwunden hat. Immerhin: Die erneuerbare Energie, die ist im Vormarsch.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema